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Politik auf den Philippinen Teil 1

  • jpieper051
  • 15. Apr.
  • 6 Min. Lesezeit

Wahlkampf, Kolonialisierung und was das mit meinem Alltag zu tun hat

In diesem Blog will ich euch ein bisschen von meinen Erfahrungen mit der Politik der Philippinen erzählen. Da ich viel mit meinen Freunden und Bekannten in Alegria gesprochen habe, reflektiert dieser Blogeintrag, dass was ich in meinem Umfeld mitbekommen habe. Ich glaube, dass ich mittlerweile ein sehr gutes Bild von der politischen Landschaft und der Kolonialgeschichte der Philippinen habe, aber trotzdem kann dieser Blog nur meine persönliche Meinung abbilden.

Gerade ist hier auf den Philippinen politisch einiges los. Im Mai stehen nämlich die sogenannten Midterm Elections an. Das ist die Halbzeit der Amtszeit des Präsidenten, und es wird fast alles neu gewählt – Bürgermeister, Vizebürgermeister, Ratsmitglieder, Senatoren, Mitglieder des Repräsentantenhauses, Gouverneure, Provincial Board Members … also eigentlich alles außer dem Präsidenten selbst. Und das merkt man: Überall hängen Wahlplakate, an jeder Straßenecke stehen Bühnen für Veranstaltungen, es gibt Autokorsos mit Musik und Lautsprechern, die die Kandidaten anpreisen. Selbst an den abgelegensten Ecken sieht man Banner, oder man wird von Wahlhelfern angesprochen. Der Wahlkampf ist also nicht zu übersehen.




Ich arbeite ja in der lokalen Regierung, der sogenannten LGU (Local Government Unit). Und die ist – wie vieles hier – streng hierarchisch organisiert. Ohne die Zustimmung des Bürgermeisters läuft hier so gut wie nichts. Wirklich jede Kleinigkeit, selbst wenn wir einen einfachen Ablauf ändern oder neue Ideen einbringen wollen, muss vom Mayor abgesegnet werden. Und wenn der gerade voll im Wahlkampfmodus ist, dann zieht sich alles in die Länge. Termine werden verschoben, Entscheidungen vertagt, und irgendwie hängen alle ein bisschen in der Luft. Es fühlt sich an, als würde das normale Leben auf Pause gestellt, bis die Wahl vorüber ist.


Korruption, Nepotismus – leider Alltag

Jetzt kommt der Teil, den man nicht ignorieren kann, wenn man über Politik spricht. So offen es hier manchmal zugeht, so sehr sind Korruption und Nepotismus (also quasi Vetternwirtschaft) immer noch fester Bestandteil des Systems. Vor allem in der Politik. Es wird oft gesagt, dass viele Wahlen zwar stattfinden, aber wirklich fair sind sie meistens nicht. Stimmenkauf ist hier nach wie vor gang und gäbe, genauso wie politische Absprachen hinter den Kulissen und Dynastiebildung.

Aber es gibt auch positive Beispiele – und tatsächlich erlebe ich hier in Alegria eines davon. Ich habe mich inzwischen ziemlich viel umgehört, und die Meinung über unseren Bürgermeister ist fast durchweg positiv. Er macht wirklich einen guten Job. Viele loben, dass hier in Alegria die Korruption vergleichsweise niedrig ist und dass wirklich sinnvolle Projekte umgesetzt werden – für den Umweltschutz, die soziale Entwicklung oder die Infrastruktur. Das fällt auf, gerade wenn man das mit anderen Gemeinden vergleicht.


Viele Teile Alegrias sind von einer lebenswichtigen Seawall geschützt
Viele Teile Alegrias sind von einer lebenswichtigen Seawall geschützt

Allerdings: Auch wenn es gut läuft, bleibt das System dasselbe. Der Bürgermeister und seine Frau wechseln sich schon seit einigen Jahren zwischen den Posten Mayor und Vice Mayor ab, und ihr Sohn hat mittlerweile auch schon den dritthöchsten Posten in der Lokalregierung. Eine klassische politische Familie also. Viele hier sagen offen, dass sie sich keine echte Alternative vorstellen können. Nicht unbedingt, weil es keine besseren Ideen gäbe, sondern weil es schlicht keine andere Familie gibt, die so viel Einfluss und Unterstützung hinter sich hat. Hier wird Politik oft als Familienunternehmen betrieben – was landesweit keine Ausnahme, sondern eher die Regel ist. Trotzdem will ich noch einmal betonen: Unser Mayor und die LGU im Allgemeinen machen wirklich einen guten Job. Alegria geht als Vorzeige-Municipality voran, zum Beispiel beim Abfallmanagement oder mit der Pflanzennursery vom Agrikultur-Office.


Blick auf die Provinzebene

Wenn man über Alegria hinausblickt, wird die Sache noch etwas komplizierter. Unsere Provinz Cebu wird von der Garcia-Familie dominiert. Fast alle wichtigen politischen Ämter sind mit Mitgliedern dieser Familie besetzt. Die Gouverneurin ist eine Garcia, viele Bürgermeister ebenfalls, und im Provincial Board sitzen natürlich auch Garcias.

Was man hier klar spürt: Die Unzufriedenheit wächst. Viele Menschen kritisieren offen, dass zu viele Projekte nur auf dem Papier sinnvoll aussehen, in Wahrheit aber vor allem dazu dienen, der Familie Garcia finanziell Vorteile zu verschaffen. Gleichzeitig ist auch hier der politische Wechsel unwahrscheinlich. Zu eng sind die Netzwerke, zu groß ist der Einfluss dieser Familie bis in die höchsten Ebenen der Politik.

Das Frustrierende daran ist: Viele wünschen sich Veränderung, haben aber wenig Hoffnung, dass es wirklich dazu kommt. Zu oft hat man erlebt, dass neue Gesichter am Ende doch wieder die gleichen alten Strukturen bedienen.


Wie konnte das eigentlich entstehen? Ein Blick in die Kolonialgeschichte

Wenn man sich fragt, warum Politik hier auf den Philippinen so läuft, wie sie läuft, dann kommt man ziemlich schnell zu einem Punkt, an dem die Kolonialgeschichte einfach nicht mehr zu ignorieren ist. Wie wir gerade selbst spüren, tun sich auch westliche Demokratien schwer, aber die Philippinen haben noch einen zusätzlichen Nachteil. Die Strukturen, die heute die Politik prägen, sind nicht von innen gewachsen, sondern damals von außen aufgezwungen worden.

Die Philippinen waren über 300 Jahre lang spanische Kolonie. Diese Zeit war brutal und ausbeuterisch, die Menschen hier wurden versklavt, ihrer Ressourcen beraubt und ihre Kultur systematisch unterdrückt und ausgelöscht. Am Ende dieser langen Zeit des Leidens, aber auch des Widerstands, sah es eigentlich so aus, als würden die Filipinos endlich ihre Freiheit erkämpfen.

Sie standen kurz davor, die Spanier zu besiegen, als plötzlich die Amerikaner auftauchten – angeblich als „Befreier“ und „Unterstützer“ für den letzten Schlag gegen die Kolonialmacht.

Die Filipinos hatten damals große Hoffnungen. Es wurde ihnen Freiheit versprochen. In der bekannten Schlacht von Manila Bay, in der die Amerikaner mithalfen, wurden die Spanier schließlich besiegt, und voller Euphorie begannen die Filipinos, ihre eigene Republik aufzubauen. Doch im Hintergrund lief ein ganz anderes Spiel: Die USA hatten die Philippinen bereits für 20 Millionen Dollar von Spanien „gekauft“. Und mit diesem Kauf begann die nächste dunkle Phase der Kolonialherrschaft.

Die Amerikaner führten eine brutale Kolonialisierung durch. Ein Drittel der männlichen Bevölkerung Luzons (der nördlichen und größten Insel) wurde getötet, Aufstände wurden blutig niedergeschlagen, und ein klares Machtgefälle zwischen Herrschern und Beherrschten wurde aufgebaut. Besonders problematisch ist aber, dass die Amerikaner damals auch das politische System installiert haben, das bis heute weitgehend unverändert existiert. Und genau da liegt meiner Meinung nach der Kern des Problems: Ein politisches System, das von außen aufgezwungen wurde, ohne dass es sich natürlich entwickeln konnte, wird auf Dauer einfach nicht stabil sein. Heute sehen wir die Spätfolgen (Korruption, Populismus, Nepotismus etc.) davon, auch wenn die Amerikaner inzwischen seit fast 80 Jahren weg sind. Auch die hierarchisch aufgebaute LGU stammt aus dieser Zeit. Sowohl unter der amerikanischen als auch unter der spanischen Kolonie wurden solche hierarchischen Systeme aufgebaut, um die große Bevölkerung mit möglichst wenigen Machthabern in Schach zu halten.

Was mich persönlich sehr überrascht hat: Dieser Teil der Geschichte ist kaum präsent oder bekannt. Es wird fast nirgendwo offen darüber gesprochen, und auch bei Recherchen muss man sehr lange suchen. Oft habe ich das Gefühl, dass sich viele Filipinos nicht trauen, die Wahrheit auszusprechen – vielleicht aus Respekt vor mir als Europäer, vielleicht aus Gewohnheit, vielleicht weil es nie gut genug aufgearbeitet wurde.

Ganz besonders aufgefallen ist mir das bei einem Vortrag während unseres Zwischenseminars. Eine Geschichtsprofessorin hat uns damals einen Überblick über die Kolonialgeschichte gegeben. Allerdings klang ihr Vortrag oft irgendwie beschönigt, fast schon wie durch eine rosarote Brille erzählt. Sie betonte mehrfach, dass die Kolonialzeit ja auch positive Seiten gehabt hätte – immerhin hätten die Spanier das Christentum gebracht und die Amerikaner die Demokratie. Am Ende des Vortrags haben Sebastian und ich sie dann direkt darauf angesprochen, ob man das wirklich so unkritisch sehen kann. Sie meinte, sie freue sich so sehr darüber, dass junge Leute aus den ehemaligen Kolonialländern, wie wir, hierherkommen, um die Philippinen kennenzulernen, dass sie uns die ganze Härte der Geschichte nicht einfach so direkt vor den Latz knallen wollte. Sie hat uns erzählt, dass sie die Erfahrung gemacht habe, dass besonders Amerikaner oft sehr empfindlich reagieren, wenn sie die ungeschminkte Wahrheit über die Kolonialzeit hören. Manche fühlten sich dann persönlich angegriffen und stritten die Taten der Amerikaner sogar ab. Also habe sie sich angewöhnt, das Thema vorsichtiger anzugehen, um niemanden zu verschrecken.

Ich finde diesen Blick in die Geschichte sehr wichtig, um die Hintergründe heutiger Probleme zu verstehen. Gerade weil in westlichen Medien und in der öffentlichen Meinung oft herablassend auf Länder wie die Philippinen geblickt wird, finde ich den historischen Blick so wichtig – denn viele der heutigen Probleme sind kein Zufall, sondern das direkte Ergebnis einer Kolonialgeschichte, an der wir als Europäer eine große Schuld tragen.

 
 
 

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